Als Sachbearbeiter Facility arbeitet Martin Malicki eng mit dem Teamleiter Logistik Mario Herrmann (links) zusammen. Auf dem Bild trägt Martin Malicki eine Ersatzprothese. Da er abgenommen hat, kann er derzeit seine myoelektrische Armprothese nicht nutzen. (Bild: André Forner)

Es sind die kleinen Dinge, die das Leben schwer machen.“ Martin Malicki lächelt. Zahnpasta aus der Tube auf die Bürste drücken? „Einfach die Zahnbürste unter die Achsel klemmen. Aber wie bekommst du das Rasierwasser aus der Flasche auf deine Hand? Und versuch mal, auf einen Zettel zu schreiben, ohne ihn festzuhalten.“ Ob man ursprünglich Rechts- oder Linkshänder war, spielt für Armamputierte dabei keine Rolle mehr: „Umschulen geht.“ Viel entscheidender sei, dass die Haltehand fehlt.

Bis zum 2. November 2013 war Martin Malicki Rechtshänder. An diesem Tag betreut der damals 40-Jährige als Multioperator eine Anlage zur Produktion von Fließstoffen bei der Glatfelter Falkenhagen GmbH im brandenburgischen Pritzwalk. „Das war ein super Job für mich“, sagt der gelernte Straßen- und Tiefbauer.

Malicki will Schmutzpartikel vom Material entfernen. „Dabei bin ich mit dem rechten Arm zwischen zwei Walzen eingezogen worden.“ Er betätigt den Not-Halt, die Anlage stoppt, der Arm aber steckt fest. Die Walzen haben eine Betriebstemperatur von 180 Grad Celsius. Es dauert zwölf Minuten, bis Malicki befreit werden kann. „Ich habe zuschauen müssen, wie ich langsam durchgebraten wurde.“ Druck und Hitze zerstören das Gewebe in seinem Arm bis auf die Knochen. Ein Rettungshubschrauber fliegt Malicki ins BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin (UKB).

Ein langer Weg zurück

„Als ich aus dem Koma aufgewacht bin, war die Welt für mich zu Ende“, erinnert sich Malicki. Bis heute musste er 15 Operationen überstehen. Sein Arm ist oberhalb des Ellenbogens amputiert. Der Stumpf wurde mit Haut von seinem eigenen Oberschenkel abgedeckt. Es folgten zwei erweiterte ambulante Physiotherapien (EAP) zum Muskelaufbau und Schutz der Wirbelsäule. In einer sechswöchigen Rehabilitation lernte er den Umgang mit einer myoelektrischen Prothese. Diese ersetzt zumindest einen Teil der früheren Funktionen von Arm und Hand. Elf Monate nach seinem Unfall hatte er seinen ersten Arbeitstag – beim alten Arbeitgeber, aber in einer neuen Funktion.

Nach seinem Unfall musste Martin Malicki die Produktionsanlage gegen einen Schreibtisch eintauschen. (Bild: André Forner)

Wiedereingliederung und neue Aufgaben

Als Sachbearbeiter Facility kümmert sich Malicki heute um Ersatzteil- und Rohstoffbeschaffung, recherchiert am Computer Angebote und Preise – auch wenn „Büro früher nicht so mein Ding war“. Zu seinen Aufgaben gehört auch das Abfallmanagement. „Als Unternehmen haben wir eine soziale Verantwortung und daher alles dafür getan, dass Herr Malicki nach seiner Rückkehr einen Arbeitsplatz hat – auch wenn es nicht mehr der alte war“, sagt Jana Bauer, HR Business Partner und Inklusionsbeauftragte am Standort Pritzwalk. Daher gab es ein Wiedereingliederungsprogramm in Absprache mit dem Betriebsarzt und seinem Reha-Manager bei der BG ETEM.

Vorbild für andere sein

„Im Krankenhaus kommen jeden Tag Ärzte und erzählen dir eine ganze Menge – aber die haben noch beide Flügel.“ Martin Malicki bringt auf den Punkt, was viele Arm- oder Beinamputierte denken: „Die wissen einfach nicht, wie sich das anfühlt.“ Dafür gibt es seit dem Jahr 2010 im UKB die sogenannten Peers. Peers sind Menschen, die selbst eine Amputation hinter sich haben und mit frisch amputierten Patienten und Patientinnen auf Augenhöhe sprechen – natürlich nur, wenn diese das wollen. „Meine Gesprächspartnerin war unter eine Straßenbahn geraten und hatte einen Arm und ein Bein verloren. Die wusste, wovon sie spricht“, erinnert sich Malicki.

Seit einigen Jahren steht er selbst als Freiwilliger für andere zur Verfügung. Peers werden dafür geschult und bilden sich regelmäßig fort. Zwei- bis dreimal im Jahr fährt Malicki zu Gesprächen in die Klinik nach Berlin, „wenn Betroffene es wünschen“.

Malicki engagiert sich auch im Betrieb. Als Schwerbehindertenvertreter bringt er seine Erfahrungen in den Betriebsrat ein. Das Unternehmen hat zudem Konsequenzen aus dem Unfall gezogen. „Das war wie ein Weckruf für den Arbeitsschutz“, sagt er. Die Regeln wurden strenger. Was früher von Hand gemacht wurde, darf heute nur noch mit Pressluft passieren. „Insgesamt ist der Arbeitsschutz noch weiter in den Vordergrund gerückt“, bestätigt auch Jana Bauer.

Aus Schwächen Stärke gewinnen

Trotz permanenter Schmerzen arbeitet Martin Malicki 30 Stunden in der Woche. Zusätzlich bekommt er eine Verletztenrente von der BG ETEM. „Schmerzen hast du 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche“, fasst er trocken zusammen. Auf einer Skala von eins bis zehn verortet er deren Intensität bei sechs oder sieben. „Der Stumpf fühlt sich an, als würdest du ständig in Brennnesseln fassen.“

Darüber hinaus hat er, wie viele Amputierte, Probleme mit dem Rücken. Der Grund: Der fehlende Arm führt zu einem Ungleichgewicht in der Muskulatur. Daher muss er zweimal wöchentlich zur Physiotherapie. Seine Therapeutin vor Ort hat sich eigens weitergebildet, weil sie zuvor keine Erfahrung in der Behandlung Amputierter hatte. Und der Arbeitgeber gibt ihm dafür frei, ohne dass er die Zeit nacharbeiten muss.

Bis heute hat Malicki auch mit den psychischen Folgen des Unfalls zu kämpfen – trotz einer psychosomatischen Rehabilitation. Eine Konsequenz seiner posttraumatischen Belastungsstörung ist unter anderem, dass er die Halle, in der der Unfall geschah, nicht mehr betritt. Die Gefahr eines Flashbacks ist zu groß. Das ist schon einmal passiert. „Da war wieder der Geruch, das Hitzegefühl, die Angst – das zieht dir die Füße weg.“ Martin Malicki hat gelernt, auch damit umzugehen. Sein Motto: „Steh zu deinen Schwächen, denn dadurch wirst du stark.“