Wer im Auto sitzt, sieht die Welt durch eine Glasscheibe und ist durch eine mächtige Karosserie geschützt. Die Kommunikation nach außen ist eingeschränkt. Regelgerecht und rücksichtsvoll zu agieren ist daher wichtig.

Wissen Sie, was in Paragraf 1, Absatz 1 der Straßenverordnung (StVO) steht? „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“ Leider sieht die Realität häufig anders aus. Ein partnerschaftliches Verhalten zwischen den Agierenden ist auf der Straße nicht die Regel, mitunter kommt es sogar zum gefährlichen Kräftemessen unter Autofahrenden. Das ist nicht gut. Viel schwerwiegender ist allerdings fehlende Rücksichtnahme gegenüber Radfahrenden und allen, die zu Fuß unterwegs sind. Wer einmal auf dem Rad erlebt hat, wie es sich anfühlt, von einem Auto mit 50 cm Abstand – oder weniger – überholt zu werden, hat einfach nur Angst um seine Gesundheit, um sein Leben. Und dieses grobe, risikoreiche Verhalten kann praktisch jeder täglich beobachten.

Ungleichgewicht der Kräfte

Autos, Transporter und Lastkraftwagen verzerren allein durch ihre Geschwindigkeit und ihr Gewicht das Gefahrenpotenzial, das sie im Vergleich zu anderen mitbringen. Deshalb gibt es den Begriff der erhöhten Betriebsgefahr: Wer als Autofahrender in einen Unfall mit schwächeren Verkehrsteilnehmenden verwickelt wird, trägt oftmals ein Mitverschulden. Selbst wenn ihm kein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden kann. Der Gesetzgebende verpflichtet damit die Stärkeren zur besonderen Rücksichtnahme.

Gelassenheit für mehr Sicherheit

Doch warum reagieren Verkehrsteilnehmende eigentlich oft so aggressiv? Keiner sollte unterschätzen, welches Stresslevel durch Zeitdruck und ein erhöhtes Verkehrsaufkommen auf den Straßen herrscht (siehe auch Interview unten). Viele Baustellen, enge Verkehrswege und neue Transportmittel wie Pedelecs und E-Scooter verlangen höchste Konzentration und das ständige Mitdenken aller. Wenn die Aufmerksamkeit noch dazu durch Telefonieren oder Navigieren verringert wird, bleibt die volle Konzentration auf den Verkehr auf der Strecke. Gelassenheit im Straßenverkehr ist eher selten. Aber jeder Mensch freut sich durchaus, wenn ihm oder ihr mit rücksichtsvollem Verhalten begegnet wird. Psychologen raten, dass man sich bewusst macht, was das Ziel meiner Bewegung im Straßenverkehr ist: Nämlich, von einem Punkt zum anderen zu kommen, und zwar sicher und gesund. Und diesen Wunsch haben eben auch die anderen Verkehrsteilnehmenden. Die Sicherheit steht im Vordergrund und nicht etwa der Versuch, drohende Unpünktlichkeit durch Rücksichtslosigkeit wettzumachen. Entspanntes Verhalten und ein gutes Zeitmanagement lassen sich erlernen – man muss zunächst aber erkennen, dass man damit ein Problem hat.

Rücksicht nehmen

Sind Fuß- und Radwege nicht klar voneinander getrennt, kann es heikel werden. Wer als Radfahrender mit hoher Geschwindigkeit überholt und nur an das eigene Vorwärtskommen denkt, bringt Fußgängerinnen und Fußgänger in Gefahr. Deshalb heißt es: langsam fahren, bremsen oder notfalls absteigen und Rücksicht auf die Schwächeren nehmen.

Texten kann töten

Aufmerksamkeit lässt sich nicht teilen: Die Ablenkung durch das Handy kann am Steuer eines Pkw oder Lkw fatale Folgen haben. Viele Menschen überschätzen ihre Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig tun zu können. Das gilt auch für alle anderen Verkehrsteilnehmenden, ob sie zu Fuß, auf dem Rad oder auf dem E-Scooter unterwegs sind.

Genialer Trick: der holländische Griff

Wer seine Fahrertür mit der rechten statt mit der linken Hand öffnet, schaut automatisch über die Schulter und erkennt so rechtzeitig Radfahrende. Das beugt Unfällen vor, bei denen Radler gegen die Tür prallen. Beifahrende nutzen die linke Hand. In den Niederlanden gehört der Griff schon lange zum Fahrunterricht.

Langsam abbiegen

Nicht ohne Grund wurden Lkw verpflichtet, nun mit Schrittgeschwindigkeit abzubiegen. Auch Autofahrende müssen mit dem toten Winkel (z. B. durch die B-Säule) rechnen und entsprechend vorsichtig abbiegen.

3 Fragen

an Sarah Langer, Referentin für Verkehrssicherheit bei der BG ETEM

1 Haben Aggressionen im Straßenverkehr zugenommen? Wenn ja, warum?

Das zunehmend aggressivere Verhalten liegt zum einen daran, dass die Verkehrsdichte stark zugenommen hat. Zudem haben wir auf den Straßen nicht nur zu Fuß Gehende, Fahrrad- oder Autofahrende, sondern auch neue Arten der Verkehrsteilnahme, wie etwa Pedelecs oder E-Scooter. Dazu kommt, dass die Menschen häufig schon im Vorhinein ein höheres Stresslevel haben, weil sie privat und beruflich stärker als früher belastet sind. Zum Teil ist das auch Freizeitstress, den sie sich selber machen. Die Kinder müssen zum Vereinssport gebracht werden, und man muss noch dies oder das machen. Wer Auto fährt und Druck empfindet, ist anfälliger, sich unter Umständen falsch zu verhalten.

2 Was bedeutet das für Arbeits- und Wegeunfälle?

Das Risiko nimmt definitiv zu. Jeder Beschäftigte ist natürlich selbst für ein korrektes Verhalten auf der Straße verantwortlich und sollte sich selbst nicht unter Zeitdruck setzen. Aber auch die Vorgesetzten sind in der Pflicht. Sie sollten Maßnahmen ergreifen, damit ihre Beschäftigten entspannt und somit sicher von A nach B gelangen: Sie können Gleitzeiten einführen und berufliche Termine nicht allzu eng takten, damit weniger Leistungs- und Zeitdruck entsteht.

3 Was empfehlen Sie sonst noch für mehr Gelassenheit im Straßenverkehr?

Oft wird aus der eigenen Rolle heraus gehandelt. Wenn man Autofahrender ist, dann ärgert man sich über die Radfahrenden, und wenn man dann am nächsten Tag mit dem Rad fährt, dann ärgert man sich über die Autofahrenden. Und gerade deshalb sollte man versuchen, die Perspektiven ab und an zu wechseln. Gegenseitiges Verständnis und Rücksicht können Konflikte vermeiden.